Agent Provocateur in Stuttgart?
erschienen in: Neues Deutschland. 25.06.2011
Als der Sprecher der Parkschützer Matthias von Hermann am Montagabend auf der besetzten Stuttgart 21-Baustelle eine erste Pressemitteilung
in seinen Laptop tippt, schreibt er auf, was er sieht: »Die Versammlung auf dem Gelände verlief friedlich, es kam zu keinen Ausschreitungen.«
Doch schon wenige Stunden nachdem die Mitteilung verschickt ist, widerspricht ihm die Polizei.
Acht Polizisten hätten nach der Zündung eines Sprengkörpers ein Knalltrauma erlitten, ein weiterer sei durch Demonstranten schwer verletzt worden.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags.
Es gebe nichts zu beschönigen, entschuldigte sich gestern Parkschützer von Herrmann auf einer Pressekonferenz. Ein Zeuge der Parkschützer
bestätigte, dass ein Polizist Schläge einstecken musste. Die Parkschützer und das Aktionsbündnis
gegen Stuttgart 21 präsentierten aber auch Zeugen, die die Darstellung der Polizei zurückwiesen. Sie berichteten von einer Rangelei mit
einem Zivilbeamten, der eine Dienstwaffe getragen habe, ohne dass er als Polizist erkennbar gewesen sei. Mehrere Demonstranten hätten ihn zur
Rede stellen wollen.
Laut Behörden erlitt der Beamte eine Gehirnerschütterung und Kehlkopfprellungen. Parkschützer Franco Gersdorf sagte dagegen, er habe
hinter dem Polizisten gestanden und die Leute weggedrückt, »damit er sicher durch die Menge kommt. Ich habe nicht gesehen, dass er in dieser
Szene geschlagen wurde. Ich bin ihm bis zum Krankenwagen nachgelaufen. Da hat er dann telefoniert und seinen Ausweis gezeigt.«
Nach Zeugenaussagen soll der Zivilbeamte zuvor versucht haben, Baumaterial zu beschädigen. Außerdem habe er Demonstranten – allerdings
vergeblich – zum Mitmachen aufgefordert. Die Bahnhofsgegner fordern nun Aufklärung durch Polizei und Regierung und wollen zudem von der
Staatsanwaltschaft wissen, wie schwer der Mann wirklich verletzt wurde.
Auch Berthold Frieß, baden-württembergischer Landesgeschäftsführer des BUND, entschuldigte sich bei den Menschen, »die zu Schaden
gekommen sind«. Gleichzeitig forderte er, dass alle offenen Fragen geklärt werden. So habe der Polizeichef verkündet, die Zündung eines selbst gebastelten Sprengkörpers habe
die friedliche Stimmung zum Kippen gebracht. Danach seien Bauzäune eingerissen worden. Videoaufnahmen belegen jedoch, dass der Bauzaun bereits
eine Viertelstunde vor dem Knall am Boden lag. Ein Parkschützer ist sich zudem sicher, dass »ein klassischer Chinaböller« explodierte.
Bilder der Parkschützer belegen, dass zwischen dem Böller und den behelmten Beamten mehrere Demonstranten standen. Einer von ihnen war Peter Reinhardt. Er sagt:
»Ich hörte den Knall, irgendwelche Folgen kann ich für mich nicht erkennen.« Die Bilder zeigen auch: Keiner der Beamten hat nach der Explosion seine Stellung verlassen.
Der Text ist urheberrechtlich geschützt.
zurück