Abriss des Südflügels befürchtet


erschienen in: Neues Deutschland. 09.01.2012

Sie haben die Niederlage noch nicht ganz überwunden. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 sagt, der Widerstand stecke seit der Volksabstimmung in einer Krise. »Aber die heutige Veranstaltung ist ein Auftakt zum Weg aus dieser Krise. Das Aktionsbündnis macht weiter und bleibt zusammen«, verspricht Hannes Rockenbauch. Drei-, vielleicht viertausend Demonstranten sind es, die sich am Sonnabend auf dem Schlossplatz in der Stuttgarter Innenstadt versammelt haben. Kein Vergleich zu dem, was das Bündnis schon mobilisiert hatte: Knapp hunderttausend Menschen waren es auf der Kundgebung nach dem 30. September 2010, als die Polizei mit Wasserwerfern und Pfefferspray dafür sorgte, dass für den Bau des Tiefbahnhofs die ersten Bäume im Schlossgarten gefällt werden konnten.

Die Polizei habe damals eine illegale Aktion der Bahn geschützt, sagen die Stuttgart 21-Gegner heute. Und sie befürchten Gleiches für diese Woche. Sie rechnen jederzeit damit, dass die Straße abgesperrt und der Südflügel des Hauptbahnhofs abgerissen wird. Und das, obwohl nicht geklärt ist, wie die Bahn der Aufforderung des Eisenbahnbundesamtes (EBA) nachkommen und sicherstellen will, dass die Erschütterungen, die beim Abriss des Flügels entstehen werden, nicht die Fledermäuse im Park stören.

Ein Déjà-vu. Heute die Fledermaus, damals der Juchtenkäfer: Nach einer Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz hat inzwischen auch das Verwaltungsgericht Mannheim bestätigt, dass der Artenschutz missachtet wurde und nicht weiter missachtet werden darf. Die Bahn hätte im September 2010 keinen einzigen Baum fällen dürfen, da in den Parkbäumen Juchtenkäfer leben.

Was in den nächsten Tagen passiert, scheint ungewiss. Die Stadt will offensichtlich den von Stuttgart 21-Gegnern besetzten Schlossgarten räumen. In einer bereits am 22. Dezember veröffentlichten Bekanntmachung verlangt sie den Abbau der Zeltstadt bis zum 12. Januar und verhängt für danach ein unbegrenztes Aufenthaltsverbot im Park. All das, obwohl das EBA 2010 einen Baumfällstopp verfügt hat, der noch immer gilt, da die Bahn bisher nicht geklärt hat, wie sie den Juchtenkäfer schützen will.

Davon wusste die Polizei bis vor wenigen Tagen nichts. Seit Wochen plant sie einen Einsatz mit 9000 Beamten, um das Fällen der Bäume zu schützen. Auf dem Festplatz der Stadt hat sie 15 Container bereitgestellt, um Blockierer in Gewahrsam nehmen zu können. Die Landesregierung hat für den Einsatz, der womöglich abgeblasen werden muss, vier Millionen Euro bewilligt. Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle ordnete nun an, dass keine Polizisten ausrücken, solange nicht klar ist, dass sich an eine mögliche Räumung des Parks unmittelbar Baumaßnahmen anschließen.

»Wenige Tage vor den Baumfällungen bemerkt die Polizei, dass sie der Bahn wieder auf den Leim gegangen ist«, erklärt die grüne Stadträtin Clarissa Seitz und fordert die Landesregierung auf, dem Unternehmen nicht blind zu vertrauen: »Für das Grundwassermanagement soll ein zusätzliches Gebäude entstehen. Für den Bau ist ein Planänderungsverfahren notwendig. Das kann Monate dauern. Auch für das bereits gebaute Technikgebäude fehlen noch wichtige Genehmigungen.« Es gebe daher keine Legitimation für den Abriss des denkmalgeschützten Südflügels. »Die Bahn wurstelt sich an Recht und Gesetz vorbei, das dürfen wir ihr nicht durchgehen lassen«, meint auch Hannes Rockenbauch.

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